O. Meister der Aphorismen : Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799)

  1. Der Ruf nach Gedankenfreiheit setzt das Vorhandensein von Gedanken voraus.

  2. Man muss die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen, sondern nach dem, was diese Meinungen aus ihnen machen.

  3. Ein sicheres Zeichen von einem guten Buch ist, wenn es einem immer besser gefällt, je älter man wird.

  4. Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten.

  5. Er kann sich einen ganzen Tag in einer warmen Vorstellung sonnen.

  6. Die sichere Überzeugung, dass man könnte, wenn man wollte, ist Ursache für manchen guten Kopfes Untätigkeit.

  7. Man muss nie denken: Dieser Satz ist mir zu schwer, der gehört für die großen Gelehrten, ich will mich mit dem anderen hier beschäftigen. Dieses ist eine Schwachheit, die leicht in eine völlige Untätigkeit ausarten kann. Man muss sich für nichts zu gering halten.

  8. Ein großes Licht war der Mann eben nicht, aber ein großer bequemer Leuchter. Er handelt mit anderer Leute Meinung.

  9. Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut.

  10. Es gibt Leute, die nicht eher hören können, als bis man ihnen die Ohren abschneidet.

  11. Es gibt keine wichtigere Lebensregel in der Welt, als die: Halte dich, soviel du kannst, zu Leuten, die geschickter sind als du, aber doch nicht so sehr unterschieden sind, dass du sie nicht begreifst.

  12. Es gibt Leute, die zu keinem Entschluss kommen können, sie müssen sich denn erst die Sache beschlafen haben. Das ist ganz gut, nur kann es Fälle geben, wo man riskiert, mitsamt der Bettlade gefangen zu werden.

  13. Es gibt Leute, die so wenig Herz haben, etwas zu behaupten, dass sie sich nicht getrauen zu sagen, es wehe ein kalter Wind, so sehr sie ihn auch fühlen möchten, wenn sie nicht vorher gehört haben, dass es andere Leute gesagt haben.

  14. Die große Regel: Wenn dein bisschen an sich nichts Sonderbares ist, so sage es wenigstens ein bisschen sonderbar.

  15. Es ist sonderbar, dass nur außerordentliche Menschen die Entdeckungen machen, die hernach so leicht und simpel scheinen. Dieses setzt voraus, dass die simpelsten, aber wahren Verhältnisse der Dinge zu bemerken, sehr tiefe Kenntnisse nötig sind.

  16. Erst die natürlichen Betrachtungen gemacht, ehe die subtilen kommen, und immer vor allen Dingen erst versucht, ob etwas ganz simpel und natürlich erklärt werden könne.

  17. Es ist gewiss besser, eine Sache gar nicht studiert zu haben, als oberflächlich. Denn der bloße gesunde Menschenverstand, wenn er eine Sache beurteilen will, schließt nicht so sehr fehl, als die halbe Gelehrsamkeit.

  18. Es gibt eine Art, das Leben zu verlängern, die ganz in unserer Macht steht : früh aufstehen, guter zweckmäßiger Gebrauch der Zeit, Wählung der besten Mittel zum Endzweck und, sobald sie gewählt sind, muntere Ausführung.

  19. Ein gewisser Freund, den ich kannte, pflegte seinen Leib in drei Etagen zu teilen; den Kopf, die Brust und den Unterleib. Und er wünschte öfters, dass sich die Hausleute der obersten und der untersten Etage besser vertragen könnten.

  20. Er verschluckte viel Weisheit, es war aber, als wenn ihm alles in die unrechte Kehle gekommen sei.

  21. Man führt gegen den Wein nur die bösen Taten an, zu denen er verleitet, allein er verleitet auch zu hundert guten, die nicht so bekannt werden.

  22. Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinschaut, so kann kein Apostel herausgucken.

  23. Wie geht´s, sagte ein Blinder zu einem Lahmen. Wie Sie sehen, sagte der Lahme.

  24. Wenn eine Betschwester einen Betbruder heiratet, so gibt das nicht allemal ein betendes Ehepaar.

  25. Ja, die Nonnen haben nicht allein ein strenges Gelübde der Keuschheit getan, sondern haben auch noch starke Gitter vor ihren Fenstern.

  26. Ein langes Glück verliert bereits durch seine Dauer.

  27. Dass in den Kirchen gepredigt wird, macht deswegen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig.

  28. Ich habe Leute gekannt, die haben heimlich getrunken und sind öffentlich besoffen gewesen.

  29. Es ist eine ganz bekannte Sache, dass die Viertelstündchen größer sind als die Viertelstunden.

  30. Eine Fliege, die nicht geklappt sein will, setzt sich am sichersten auf die Klappe selbst.

  31. Dass der Mensch das edelste Geschöpf sei, lässt sich auch schon daraus entnehmen, dass es ihm noch kein anderes Geschöpf widersprochen hat.

  32. Es ist eben unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch das Gedränge zu tragen, ohne jemanden den Bart zu sengen.

  33. Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird. Aber soviel kann ich sagen : Es muss anders werden, wenn es gut werden soll.

  34. Man könnte die Änderung wenig merken, bliebe die Erinnerung an das Vergangene nicht.

  35. Man kann eine Sache wieder so sagen, wie sie schon gesagt worden, sie vom Menschenverstand weiter abbringen oder sie ihm nähern; das erste tut der seichte Kopf, das zweite der Enthusiast, das dritte der eigentliche Weltweise.

  36. Zweifel muss nichts sein als Wachsamkeit, sonst kann er sehr gefährlich werden.

  37. Die Superklugheit ist eine der verächtlichsten Art von Unklugheit.

  38. Ehe man tadelt, sollte man immer erst versuchen, ob man nicht entschuldigen kann.

  39. Die feinste Satire ist unstreitig die, deren Spott mit so weniger Bosheit und so vieler Überzeugung verbunden ist, daß er selbst diejenigen zu lächeln nötigt, die er trifft.

  40. Über nichts wird flüchtiger geurteilt als über die Charaktere der Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein.

    Ich habe durch mein ganzes Leben gefunden, dass sich der Charakter eines Menschen aus nichts sicher erkennen läßt, wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er nicht übel nimmt.

  41. Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wichtig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht.

  42. Doch die Gewohnheit, immer süße Lehre leicht zu empfangen, erschlafft bei den meisten das Talent, selbst zu suchen.

  43. Alles gelernt, nicht um es zu zeigen, sondern um es zu nutzen.

  44. Man sollte sich nicht schlafen legen, ohne sagen zu können, dass man an dem Tag etwas gelernt hat.

  45. Was hilft aller Sonnenaufgang, wenn wir nicht aufstehen.

  46. Eine Ehe ohne Würze kleiner Misshelligkeiten wäre fast wie ein Gedicht ohne „r“.

  47. Nichts macht schneller alt, als der immer vorschwebende Gedanke, dass man alt wird.

  48. Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit.

  49. Für den Verlust von Personen, die uns lieb waren, gibt es keine Linderung als die Zeit

    und sorgfältig und mit Vernunft gewählte Zerstreuung.

  50. Erfahrung ist die einzige Schule, in der auch Dummköpfe etwas lernen können.

  51. Ein Unverschämter kann bescheiden aussehen, wenn er will, aber kein Bescheidener unverschämt.

  52. Mäßigkeit setzt Genuss voraus, Enthaltsamkeit nicht. Es gibt daher mehr enthaltsame Menschen als solche, die mäßig sind.

  53. Wo Mäßigung ein Fehler ist, da ist Gleichgültigkeit ein Verbrechen.

  54. Ängstlich zu sinnen und zu denken, wie man es hätte tun können, ist das übelste, was man tun kann.

  55. Jeder Fehler erscheint unglaublich dumm, wenn andre ihn begehen.

  56. Wie glücklich viele Menschen wären, wenn sie sich genauso wenig um die Angelegenheiten anderer kümmern würden wie um die eigenen.

  57. Der Dank ist für kleine Seelen eine drückende Last, für edle Herzen ein Bedürfnis.